Zahlenversteherin mit Kampfgeist

Xin ist ein Sturkopf. Ein sehr liebenswürdiger Sturkopf. Wenn sie sich einmal etwas in den Kopf gesetzt hat, marschiert sie vorwärts. Und zwar bis sie ihr Ziel erreicht hat. Das war schon so, als sie noch ein kleines Mädchen war. An einen Tag aus ihrer Kindheit erinnert sich die 33-Jährige bis heute. Mit acht Jahren war sie mit den Großeltern in einem Restaurant. In China steht traditionell auch Hundefleisch auf der Speisekarte. „Als ich aus der Küche das verzweifelte Jaulen eines Hundes hörte, wurde mir schlagartig klar, dass da gerade etwas Schreckliches passierte. Ich weinte und schrie so laut ich konnte, um das Jaulen nicht mehr zu hören.“ Die Großeltern brauchten fortan nicht mehr mit ihrer Enkelin in solche Restaurants gehen.

Ein Hund namens Joghurt

Xin wollte es später mit bloßer Empörung über die gequälte Kreatur nicht bewenden lassen. Sie liebäugelte deswegen lange damit, Tierpflegerin im Zoo zu werden und begann zudem, sich im Tierschutz zu engagieren. Heute setzt sie sich in einer Hilfsorganisation für das Wohlergehen verwahrloster oder bedrohter Hunde und Katzen ein und versucht, diese mit neuen, fürsorglichen Besitzerinnen und Besitzern zusammenzubringen. Klar, dass sie auch selbst einen Hund hat. Einen zweieinhalbjährigen Schnauzer. Sein chinesischer Name „酸奶“ bedeutet so etwas wie „Joghurt“ – vielleicht, damit traditionelle Metzgerinnen und Metzger sowie Köchinnen und Köche gar nicht erst auf dumme Gedanken kommen?

Von ihrem eigenen Leben hatte Xin schon immer sehr konkrete Vorstellungen. Sie eiferte dem Vorbild ihrer beruflich sehr erfolgreichen Mutter nach, studierte Buchhaltung und wollte ihren Fleiß in Verbindung mit einer guten Ausbildung nutzen, ihren Horizont deutlich zu erweitern. Den dazu passenden Partner hatte sie schon mit 17 auf dem College kennengelernt. Er war zwei Jahre älter als sie und hatte wie sie Lust, nach den Chancen zu greifen, die das in jeder Beziehung aufstrebende China bot.

„Ich komme aus dem Südwesten Chinas, bin dann zum Studieren ganz in den Norden gezogen, um schließlich 2007 in Shanghai zu landen, wo ich einen Job als Controllerin in einem Produktionsbetrieb annahm“, berichtet Xin. Angesichts der Größe des Landes war dies für die junge Frau und ihren Mann ein Trip in jeweils ganz neue Welten und Kulturen. Die 26-Millionen-Metropole Shanghai, die größte Stadt Chinas, faszinierte Xin dabei am meisten: „Eine Wahnsinnsstadt, extrem modern und mit einem enorm hohen Tempo. Die City und ihre Menschen scheinen immer nur nach vorne zu schauen und dabei Vollgas zu geben.“

2011 kam Xin zu EDAG, wo sie als Projekt-Controllerin einstieg. „Das Unternehmen stand für mich für Aufbruch und Zukunft“, berichtet sie. „Als ich anfing, waren wir 100 Leute, heute sind wir mehr als 350.“ Besonders gefällt ihr der intensive interkulturelle Austausch: „Wir sind ein internationales Team aus Deutschen, Franzosen, Italienern, Spaniern, Indern und Chinesen. Das macht mir sehr viel Spaß“, freut sich Xin.

Mit Vollgas in einer Wahnsinnsstadt

Mit Kopf, Bauch und Herz

Dabei zeigt sich, dass sie ebenso ein echter Bauch- und Herzensmensch ist wie auch ein ebenso leidenschaftlicher Kopf- und Verstandsmensch. „Zahlen folgen einer klaren Logik“, erklärt sie. Pläne und Ergebnisse zusammenzuführen, sei für sie deswegen aber keinesfalls eine staubtrockene Materie. „Alle Beteiligten einer Entwicklung müssen sich permanent austauschen, um zu verstehen, wie das gewünschte Ergebnis erzielt werden kann.“ Das gehe nur in einem starken, motivierten Team.

Als sie 2013 die Leitung ihrer Abteilung übernahm, wurde Xin schwanger: Zwillinge. Eine doppelte Herausforderung. Dennoch bedeutete die Geburt ihrer beiden Söhne für sie nur eine kurze Auszeit. In China ist es üblich, dass die Großeltern intensiv in die Kinderbetreuung eingebunden sind. Den Vorteil hatte Xins junge Kleinfamilie nicht. Die Großeltern lebten zu weit weg, um für eine dauerhafte Betreuung zur Verfügung zu stehen. „Das mussten wir alles selbst hinbekommen“, sagt Xin.

Zwei richtig harte Jahre

Dabei verlor sie aber nicht ihre eigenen beruflichen Interessen und Ziele aus den Augen. Zwei Jahre stürzte sich Xin neben Beruf und Familie in eine spezielle Controlling-Ausbildung am renommierten Institute of Management Accountants of USA, die sie 2019 erfolgreich abschloss. „Das waren zwei richtig harte Jahre“, räumt sie heute ein. „Der Tag hat nun einmal nur 24 Stunden, die Kinder und die Arbeit durften dabei nicht zu kurz kommen. In dieser Zeit mussten dann sechs Stunden Schlaf reichen. Und das an sieben Tagen in der Woche.“ Ihre Söhne hätten dabei akzeptiert, dass ihre Mutter in dieser Zeit nur eingeschränkt für sie zur Verfügung gestanden hätte. „Sie haben das trotz ihres jungen Alters verstanden und gemeinsam super hingekriegt“, freut sie sich über diese außerordentliche familiäre Teamleistung, die alle noch enger zusammengeschweißt hätten.

„Für mich sind diese beruflichen und privaten Erfahrungen gleichermaßen enorm wichtig“, unterstreicht Xin, die mittlerweile als Finance Director bei EDAG Engineering und Design in Shanghai große Verantwortung trägt. Dass dies ihren Blick nach vorne trüben könnte, steht nicht zu befürchten. „Ich brauche immer neue Ziele“, sagt sie in aller Bestimmtheit. „Nicht langfristig, sondern lieber kurzfristig. Weil sie dann für mich greifbarer und unmittelbarer erreichbar sind.“

Deshalb habe sie es sich angewöhnt, sich zu ihrem Geburtstag vor den Spiegel zu stellen und sich selbst zu fragen, was sie im vergangenen Jahr erreicht habe und wo sie im neuen Lebensjahr hin wolle. Das Selbstgespräch könne von Jahr zu Jahr unterschiedlich lange dauern. Ein Ergebnis stehe für sie dabei aber immer schon fest. „Ich will immer Neues lernen und kennenlernen, meinen Horizont weiten und Gutes für Menschen, Tiere und die Natur tun“, sagt Xin. Wenn sie in ihrer Spiegelrückschau feststelle, dass sie ein gestecktes Ziel einmal nicht erreicht habe, sei sie nicht sauer. „Aber mein Ehrgeiz ist dann erst recht angestachelt und ich greife weiter an. Da bin ich dann richtig stur.“

Wahrheitsfindung vor dem Spiegel


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